Mehr als 70 Prozent der Jüngeren kennen das Gefühl. Das zeigt eine Studie im Auftrag des Landes. Wüst will das Thema angehen.
VON HENNING RASCHE · 25 Nov 2023
DÜSSELDORF/BERLIN Einsamkeit ist unter den Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen ein weitverbreitetes Gefühl. Eine Studie der RuhrUniversität Bochum kommt zu dem Ergebnis, dass sich mehr als 70 Prozent von ihnen schon einmal einsam gefühlt haben. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach bei der Vorstellung der Studie am Freitag in Berlin deswegen von einem „Massenphänomen“. Er kündigte an, mit der Landesregierung gegen Einsamkeit vorzugehen.
Die Studie stammt von der renommierten Einsamkeitsforscherin Maike Luhmann, die Psychologie in Bochum lehrt. Sie basiert auf einer Umfrage unter 16- bis 20-Jährigen in NRW sowie unter Achtklässlern an allen Schulformen im Ruhrgebiet. „Der Fokus lag sehr lange auf den Älteren – zu Recht“, sagte Luhmann. Nun zeige ihre Studie aber, dass das Gefühl auch unter Jugendlichen problematisch ist. Die Erkenntnisse werden in der Studie „sehr bedenklich“genannt, es bestehe „dringender Handlungsbedarf“.
So gibt mehr als jeder zweite der Befragten an, sich zumindest etwas einsam zu fühlen. In der älteren Gruppe ist fast jeder Fünfte stark betroffen. Die älteren Jugendlichen fühlen sich häufiger einsam als die jüngeren; Mädchen häufiger als Jungen. Jugendliche, die auf dem Land leben, haben weniger Probleme mit Einsamkeit als solche, die in Städten leben. Deutlicher Treiber ist Geldmangel: je geringer die finanziellen Mittel, desto größer die Einsamkeit.
Wenn Menschen die Qualität und die Zahl ihrer sozialen Beziehungen als unzureichend empfinden, spricht man von Einsamkeit. In der Studie wird zudem zwischen sozialer und emotionaler Einsamkeit unterschieden. Letztere ist dabei unter den Jugendlichen die ausgeprägtere Form: Sie bezieht sich auf das Fehlen von besonders engen Bezugspersonen. Sozial einsam ist demnach, wer sich nicht hinreichend einer sozialen Gruppe zugehörig fühlt.
Erstmals in den Blick kam Einsamkeit unter Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie. Sie hat das Problem laut der Bochumer Studie verschärft. Zwar fühlen sich die Jüngeren heute nicht mehr so einsam wie zur Zeit der Lockdowns, aber einsamer als vor der Pandemie. Luhmann spricht von einem deutlichen Anwachsen des Problems in den vergangenen Jahren.
Hauptursachen für die empfundene Einsamkeit sind ein Mangel an Nähe, soziale Ausgrenzung, das Fehlen enger Freunde sowie Streit und Konflikte mit engen Bezugspersonen. Auffällig ist zudem, dass die 16- bis 20-Jährigen ihre Freizeit häufig ohne andere Menschen verbringen, also etwa mit Videospielen oder digitalen Netzwerken – und nur selten mit Sport oder in Vereinen. Auch wenn man auch über Spiele und Netzwerke Kontakt zu Freunden halten könne, sind laut Studie Sport und Treffen mit engen Freunden der stärkste Schutz vor Einsamkeit.
Luhmann beklagte am Freitag, dass es nur wenige öffentliche Treffpunkte für Jugendliche gebe, die nichts oder wenig kosteten und an denen sich auch Mädchen wohlfühlten. In ihrer Gemeinde sei unlängst eine Bank abgeschraubt worden, weil sie zum Treffpunkt für Jugendliche wurde. Sie schlug eine gezielte Kampagne gegen Einsamkeit vor, um Stigmen abzubauen.
Die Studie wurde im Rahmen eines sogenannten Einsamkeitsforums in der Landesvertretung in Berlin vorgestellt. Wüst hat bereits eine Stabstelle gegen Einsamkeit in der Staatskanzlei eingerichtet, will Projekte fördern und 2024 eine Einsamkeitskonferenz abhalten.